EMotion in der Alexandertechnik

Alexandertechnik & die Arbeit mit den Händen

In der Haltung zur zentralen Frage der Psychologie „Wie ent­stehen die   Gefühle, die als Automatismen unsere Lebensqualität beeinträchtigen?“ gibt es einen Konsens, der psychologische Ansätze unterschiedlicher Herkunft vereint. Diese Modelle basieren auf dem Konzept der Ganzheitlichkeit und stellen Selbstbestimmung, Eigen­verantwortung und Entscheidungsvermögen des Menschen in den Mittel­punkt. Alexander hat wesentliche Erkenntnisse, die in den neueren Ansätzen der Psychologie relevant sind, formuliert, an sich selbst erprobt und in der Alexandertechnik methodisch umgesetzt. In der Alexander­technik ist das wesentliche Medium für die Vermittlung der Alexandertechnik und den Unterricht m. E. die Arbeit mit dem Händen. Daneben sind es natürlich auch die „mentalen Anweisungen“, Erläu­terungen und das Gespräch zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen.

  • Die Hände fungieren u.a. als „Spiegel“ und geben eine Rückmeldung über Körpergrenzen, Spannungszustände und Haltungen. Die Therapie setzt Techniken ein, die Aussagen oder Stimmungen der Klient:innen „spiegeln“ und bewusst machen.
  • Die Hände initiieren und tragen den feinen Dialog zwischen Lehrer:in und Schüler:in, sie kommunizieren mit dem Organismus der Schüler:innen, geben Impulse, die Schüler:innen „antworten“ darauf und die Lehrer:innen „antworten“ usf.
  • Die Hände geben dem Schüler durchgängig Unterstützung und Rückmeldung, die der Klient in der Beratung durch die einfühlende Beobachtung des Beraters und das Setting erhält.

Durch die Berührung mit den Händen, über den kinästhetischen Sinn, wird den Schüler:innen ihr realistisches Körperschema „zurückgegeben“, ihre Körpergrenzen, haltungen, Bewegungen und Spannungszustände spürbar und bewusst. Die Alexandertechnik als Methode betrifft alle Ebenen des Menschseins, ihre Anwendung lässt Prozesse auf der kör­perlichen, emotionalen und geistigen Ebene fühlbar werden, zur Sprache bringen und bewusst werden und alle Ebenen organisch aufeinander zu beziehen.

Die Alexandertechnik setzt am Körper an und erreicht über den kinästhetischen Sinn den ganzen Menschen. Über die Sinne empfangen wir Eindrücke und Bilder, der Verstand arbeitet erst, wenn die Sinne ihm etwas anbieten. Die Alexandertechnik basiert auf der Erfahrung Alexan­ders,

„dass der kinästhetische Sinn durch gewohnheitsmäßigen Fehl­gebrauch unzuverlässig geworden ist.    […] Der zur Gewohnheit gewordene Fehlgebrauch beeinflusst unsere Beziehung zu unserer Innenwelt und zu unserem kinästhetischen Sinn.“1

Der kinästhetische Sinn ist der erste Sinn, die Haut das erste und wichtigste Wahrnehmungsorgan, mit dem wir im Mutterleib unsere Umwelt erfahren, später mit den Händen begreifen. Danach bilden sich die anderen Sinne aus. Parallel entwickelt sich das Gehirn und bildet im Laufe des Lebens seine neuronalen Netzwerke aus der Verarbeitung von Sinnesreizen, damit verbundenen Emotionen, Bewertungen, Reaktionen, ihrer Differenzierung und kognitiven Verarbeitungsprozessen. Das Gehirn wird aus den individuellen Erfahrungen jedes Menschen.

Die Alexandertechnik setzt „am    Ursprung“, an der kinästhetischen Erfahrung an, an den Körperprozessen und Anspannungen, die direkt mit den Emotionen verbunden sind. Die Aufmerksamkeit der Schüler:innen wird auf Körperprozesse, Bewegungsprozesse und –muster gelenkt. Der „Dialog“ zwischen Lehrenden und Schüler:innen konzentriert sich auf den Zusammenhang zwischen Sinneswahr­neh­mung und Bewegungsprozessen und –mustern. Die bewusste Wahrnehmung der Emotion ermöglicht das Gefühl, den Gedanken und zugrundeliegende Vorstellungssysteme als Motor des Handelns.

„Inhibition“ (Stoppen) eröffnet den Raum, die Identifikation mit den automatisch ablaufenden Prozessen und Reaktionen aufzulösen, Abstand zu gewinnen und das, was ist, bewusst wahrzunehmen und zu akzeptieren.

„Direction“ (mentale Anweisungen) ermöglicht das bewusste Heraustreten aus dem eigenen System, das Vorstellen einer Alternative als „Probehandeln“, um dann bewusst einen anderen Weg zu gehen. Die Vorstellung von einer Tätigkeit ruft immer verschiedenste Körper, Denk und Gefühlsprozesse ab, die an diese Vorstellung geknüpft und im Zentralnervensystem gespeichert sind. Sensomotorik, verbale Einflüsse und Indoktrinationen sind wichtige Faktoren für die Bildung un­serer Selbst­­­konzepte. Ungünstige Selbst­­konzepte steh­en unserer Ent­wicklung, Ge­sundheit und Le­­­bens­qua­lität im Weg. Eine Methode, die auf beiden Ebenen arbeitet und auf eine Verän­derung der neuronalen Schaltkreise abzielt, scheint mir am besten ge­eig­net, Denken und Fühlen umzu­struk­turieren und damit echte Verhaltens­veränderung zu bewirken. Der Organismus selbst ist Kompass für eine klare (Selbst-)Wahrnehmung, für die eigenen Emotionen und authentisches Füh­len, Denken und Han­deln.

Voraussetzung dafür ist, dass wir seiner Funktionsweise entsprechend mit ihm umgehen, seine Botschaften verstehen und darauf antworten – in Bezug auf uns selbst, auf die anderen, auf das, was wir tun und wie wir es tun.

Der Mensch ist eine psychophysische Einheit

F.M. Alexander ging von der Einheit    motorischer und mentaler Prozesse aus und arbeitete mit der Überzeugung, dass wir jeden Gedanken, jedes Erlebnis, jedes Gefühl – alles -    in Muskelspannung umsetzen. Das Unterlassen überflüssiger muskulärer Spannung hat umgekehrt Auswirkungen auf den ganzen Menschen, sein Denken, Fühlen und Handeln. Dies ist eine Erkenntnis, die in der modernen Psychologie zunehmend wichtig wurde.

Die Körperhaltung und das Verhältnis zu ihr hat Einfluss auf das gesamte psychophsysische Be­finden einer Person. Jede ein­zelne Aktivität betrifft den Men­schen als Ganzes. Entsprechend ist das Selbst die Ganz­heit kognitiver, emotionaler und physischer Vor­gänge und Zu­stände.

Die Art und Weise, wie wir mit uns umgehen, ist Ausdruck der seelischen Ver­fassung und emotionalen Haltung einer Person als Ganzheit. Er bildet Charak­ter­dis­po­sitionen, Selbstkonzepte, Wahrnehmungen und Haltungen ab. Und: Nur in einer bestimmten Haltung sind auch die ent­sprechenden Selbst­konzepte, Wahr­neh­mung, Hal­­­tun­gen und Emotionen möglich und zu Gewohnheiten werden.

Ungünstige Ge­wohnheiten sind Konsequenz viel tiefer ge­hen­der ungünstiger Pro­zesse, welche die ganze Person mit einbeziehen. Gefühls­zustände wie Angst, De­pression haben ihre Entsprechung in der Art und Weise des Zusam­men­­spiels mit bestimmten Konfigura­ti­onen der Muskulatur. Diese entstehen durch emotio­nale Reak­tionen und durch den Einsatz unseres Körpers in sich wie­derholenden Arbeitssituationen.

Der Zusammenhang zwischen emotionaler, mentaler und muskulärer Ebene wurde in meiner Arbeit als Lehrerin für Alexandertechnik immer wichtiger. Ich versuche, meine Schüler:innen   durch Anwendung der Prinzipien der Alexan­­­dertechnik darin zu unterstützen, ihre Gefühle, Glau­bens­­systeme, ihre Persön­lich­keits­­struktur mit ihren indivi­duellen Span­nungs­­mustern in Zusammen­hang zu bringen und auf allen Ebenen zu betrachten.  Der Zugang zum eigenen Selbst und Selbst-Bewusst­heit sind m. E. die Voraussetzung für das Erkennen und Wahr­nehmen von Verän­derungsrichtungen und Alternativen. Dieses Potenzial wird sichtbar, wenn wir die Bedeutung von Spannungsmustern im Prozess des Loslassens erkennen.

Psyche – Atem und Lebenskraft

Psyche [gr. psychein hauchen] bedeutet urspr. Hauch, dann Atem. Der Atem als Kennzeichen des Lebens führte zur Gleichsetzung der Psyche mit dem Leben, der Lebens­kraft und Le­­bens­energie, zuletzt mit der Seele als dem Lebensprinzip. Atmen heißt fühlen und eine ein­geschränkte Atmung, ein verengter Brustkorb und    eine einge­schränkte Tätigkeit des Zwerch­fells verhindern bestimmte Empfindungen des Körpers und Gefühlszustände. Wenn wir flach atmen, verringern wir die Menge an aufgenommener Luft und gleichzeitig das Vo­lu­men unserer Lungen, unseres Brust- und Bauch­­­raums. Eine flache und hastige Atmung führt zu Gefühlen der Angst, Nervosität und Unbehagen im Organismus.

Alexander ging davon aus, dass eine ausgeglichene Muskelspannung im Organismus die Voraussetzung für eine optimale Koordination und den natürlichen Fluss der Atmung ist.

Das Zusammenspiel von Muskeln, Organen, Rippen und der feinen Mecha­nis­men, die am Atemvorgang beteiligt sind, macht deutlich, dass die Voraussetzung für eine frei fließende At­mung ein entspannter, gesunder Körper bzw. ein gesundes Körper­bewusstsein ist. Wird die Atmung nicht blockiert, gelangen die in den Eingeweiden, im Bauchraum entstehenden   Empfindungen/Gefühle in die Brustregion und können „auf dem Weg dorthin“ be­wusst wahr­genommen, diffe­renziert und schließlich in Gestik, Mimik, in Handlung um­­gesetzt werden.

Eine Blockierung und Verflachung der Atmung verur­sacht eine Blockierung und Be­schrän­kung der Emotionen und Gefühle, so dass sie in ihrer Bedeutung als „Rat­geber“ und Res­sour­­ce für klare Wahr­neh­mung und angemessenes Handeln nicht zur Ver­fü­gung stehen.

Emotion und Gefühl

Wir nehmen Körperzustände wahr, wenn wir Emotionen fühlen. Gefühle sind notwendig zur Wahrneh­mung des durch Emotionen veränderten Körpers. (William James)

Emotion (emovere: herausbewegen) bezeichnet (von Geburt an) das Erleben und den Aus­druck von Freude, Angst, Trauer, Neugier und Ärger, später auch Schuld, Scham, Neid usw. Jede Erfahrung ist mit Emotionen verbunden, jede Emotion hat eine be­stimmte Erlebnisqualität und besitzt eine Motivation für ein bestimmtes Verhalten.

Die Evolution hat zuerst die Emotionen, dann – mit der Entwicklung der jüngeren Hirnstruk­turen die Gefühle hervorgebracht. Emotionen sind Motor für automatische Reak­tionen auf Reize, die auf unbewusste Art das Überleben des Organismus sicher(te)n und die sich des­halb durchgesetzt haben. Emotionen sind vorübergehende Verän­derungen im Orga­nis­mus, werden sie von uns be­wusst wahrgenommen, so spricht man von Gefühl. Als Gefühl be­zeich­net Damasio die Re­prä­­sentation der vorüber­gehenden Veränderungen im Orga­nismus in Form neuronaler Mus­ter und den damit verbun­denen Vorstellungen.2

Ausblick – Mittel der Veränderung

„Der Prozess des Fühlens hat Orientierungsfunktion und macht den Organismus aufmerksam auf ein Problem, mit dessen Lösung die Emotion begonnen hat.3

Im Mittelpunkt meines Unterrichts steht die Vermittlung der Prinzipien der Alexandertechnik mit dem Ziel, dass die Schüler:innen sich durch das Loslassen übermäßiger Muskelspannung zur    Re­akti­vierung der Aufrichtungsreflexe ihren Kör­per wieder aneignen und sich (langfristig) wieder auf ihre Emotionen, ihr Füh­len und Denken als Wah­r­nehmungs und Orientie­rungs­funk­tionen ver­­las­sen können. Das Erlernen der Alexan­der­­technik kann zum Erleben des Zu­sammenhangs zwischen Kör­per, Geist und Emotion füh­ren. Das Wissen um diesen Zusam­men­hang und ihr Zusam­men­wirken wird mit der An­wen­dung der Methode zur kinästhe­ti­schen Erfahrung.

Die Aufmerksamkeit bei der Vermittlung der Alexandertechnik liegt auf den ungünstigen Pro­zesse, die Ursache für Beschwerden sind und die einer Veränderung im Weg stehen. Die Methode und ihre Wirkung zeigen, dass wir alles, was wir für eine gewünschte Veränderung brau­chen, in uns haben: die Probleme und auch die Mittel für eine Lösung.

Das Loslassen von Muskelspannung führt langfristig zum Loslassen von Vorstellungen über sich selbst, das eigene Denken und Fühlen. Dazu gehört eine ehrliche Selbstbeobachtung, um die Anteile, Emotionen und Gedanken zu akzep­tieren und zu integrieren, die vorher ein „Schattendasein“ geführt haben. Jeder dieser Aspekte findet seinen Ausdruck im Körperschema, im Muskeltonus, in der Haltung… .

Die Alexandertechnik schätze ich sehr aufgrund ihres besonderen Spektrums in der An­wen­dung. Sie wirkt als Prophylaxe, bei der Lin­derung oder Hei­lung körperlicher Be­schwerden, als Wellnessprogramm bis hin zur Persönlichkeitsentwicklung und Selbst­erfah­rung durch die permanente „Wiederholung“ ihrer Prinzipien. Ihre Besonderheit liegt für mich darin, dass die Menschen lernen, sie selbst anzuwenden. Das Potenzial der Alexandertechnik ist so groß, wie ihre Anwendung durch den individuellen Menschen.

© 2024 Angelika Wichert

                   EMotion in der F.M. Alexandertechnik 

       Alexandertechnik & die Arbeit mit den Händen

In der Haltung zur zentralen der Psychologie „Wie ent­stehen die   Gefühle, die als Automatismen unsere Lebensqualität beeinträchtigen?“ gibt es einen Konsens, der psychologische Ansätze unterschiedlicher Herkunft vereint. Diese Modelle basieren auf dem Konzept der Ganzheitlichkeit und stellen Selbstbestimmung, Eigen­verantwortung und Entscheidungsvermögen des Menschen in den Mittel­punkt. Alexander hat wesentliche Erkenntnisse, die in den neueren Ansätzen der Psychologie relevant sind, formuliert, an sich selbst erprobt und in der Alexandertechnik methodisch umgesetzt. In der Alexander­technik ist das wesentliche Medium für die Vermittlung der Alexandertechnik und den Unterricht m. E. die Arbeit mit dem Händen. Daneben sind es natürlich auch die „mentalen Anweisungen“, Erläu­terungen und das Gespräch zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen.

• Die Hände fungieren u.a. als „Spiegel“ und geben eine Rückmeldung über Körpergrenzen, Spannungszustände und Haltungen. Die Therapie setzt Techniken ein, die  Aussagen oder Stimmungen der Klient:innen „spiegeln“ und bewusst machen.
• Die Hände initiieren und tragen den feinen Dialog zwischen Lehrer:in und Schüler:in, sie kommunizieren mit dem Organismus der Schüler:innen, geben Impulse, die Schüler:innen „antworten“ darauf und die Lehrer:innen „antworten“ usf. 
• Die Hände geben dem Schüler durchgängig Unterstützung und Rückmeldung, die der Klient in der Beratung durch die einfühlende Beobachtung des Beraters und das Setting erhält.

Durch die Berührung mit den Händen, über den kinästhetischen Sinn, wird den Schüler:innen ihr realistisches Körperschema „zurückgegeben“, ihre Körpergrenzen, haltungen, Bewegungen und Spannungszustände spürbar und bewusst. Die Alexandertechnik als Methode betrifft alle Ebenen des Menschseins, ihre Anwendung lässt Prozesse auf der kör­perlichen, emotionalen und geistigen Ebene fühlbar werden, zur Sprache bringen und bewusst werden und alle Ebenen organisch aufeinander zu beziehen.
Die Alexandertechnik setzt am Körper an und erreicht über den kinästhetischen Sinn den ganzen Menschen. Über die Sinne empfangen wir Eindrücke und Bilder, der Verstand arbeitet erst, wenn die Sinne ihm etwas anbieten. Die Alexandertechnik basiert auf der Erfahrung Alexan­ders,
„dass der kinästhetische Sinn durch gewohnheitsmäßigen Fehl­gebrauch unzuverlässig geworden ist.    […] Der zur Gewohnheit gewordene Fehlgebrauch beeinflusst unsere Beziehung zu unserer Innenwelt und zu unserem kinästhetischen Sinn.“1

Der kinästhetische Sinn ist der erste Sinn, die Haut das erste und wichtigste Wahrnehmungsorgan, mit dem wir im Mutterleib unsere Umwelt erfahren, später mit den Händen begreifen. Danach bilden sich die anderen Sinne aus. Parallel entwickelt sich das Gehirn und bildet im Laufe des Lebens seine neuronalen Netzwerke aus der Verarbeitung von Sinnesreizen, damit verbundenen Emotionen, Bewertungen, Reaktionen, ihrer Differenzierung und kognitiven Verarbeitungsprozessen. Das Gehirn wird aus den individuellen Erfahrungen jedes Menschen.
Die Alexandertechnik setzt „am    Ursprung“, an der kinästhetischen Erfahrung an, an den Körperprozessen und Anspannungen, die direkt mit den Emotionen verbunden sind. Die Aufmerksamkeit der Schüler:innen wird auf Körperprozesse, Bewegungsprozesse und –muster gelenkt. Der „Dialog“ zwischen Lehrenden und Schüler:innen konzentriert sich auf den Zusammenhang zwischen Sinneswahr­neh­mung und Bewegungsprozessen und –mustern. Die bewusste Wahrnehmung der Emotion ermöglicht das Gefühl, den Gedanken und zugrundeliegende Vorstellungssysteme als Motor des Handelns.
„Inhibition“ (Stoppen) eröffnet den Raum, die Identifikation mit den automatisch ablaufenden Prozessen und Reaktionen aufzulösen, Abstand zu gewinnen und das, was ist, bewusst wahrzunehmen und zu akzeptieren.
„Direction“ (mentale Anweisungen) ermöglicht das bewusste Heraustreten aus dem eigenen System, das Vorstellen einer Alternative als „Probehandeln“, um dann bewusst einen anderen Weg zu gehen. Die Vorstellung von einer Tätigkeit ruft immer verschiedenste Körper, Denk und Gefühlsprozesse ab, die an diese Vorstellung geknüpft und im Zentralnervensystem gespeichert sind. Sensomotorik, verbale Einflüsse und Indoktrinationen sind wichtige Faktoren für die Bildung un­serer Selbst­­­konzepte. Ungünstige Selbst­­konzepte steh­en unserer Ent­wicklung, Ge­sundheit und Le­­­bens­qua­lität im Weg. Eine Methode, die auf beiden Ebenen arbeitet und auf eine Verän­derung der neuronalen Schaltkreise abzielt, scheint mir am besten ge­eig­net, Denken und Fühlen umzu­struk­turieren und damit echte Verhaltens­veränderung zu bewirken. Der Organismus selbst ist Kompass für eine klare (Selbst-)Wahrnehmung, für die eigenen Emotionen und authentisches Füh­len, Denken und Han­deln.
Voraussetzung dafür ist, dass wir seiner Funktionsweise entsprechend mit ihm umgehen, seine Botschaften verstehen und darauf antworten – in Bezug auf uns selbst, auf die anderen, auf das, was wir tun und wie wir es tun.

       Der Mensch ist eine psychophysische Einheit 

F.M. Alexander ging von der Einheit    motorischer und mentaler Prozesse aus und arbeitete mit der Überzeugung, dass wir jeden Gedanken, jedes Erlebnis, jedes Gefühl – alles -    in Muskelspannung umsetzen. Das Unterlassen überflüssiger muskulärer Spannung hat umgekehrt Auswirkungen auf den ganzen Menschen, sein Denken, Fühlen und Handeln. Dies ist eine Erkenntnis, die in der modernen Psychologie zunehmend wichtig wurde.
Die Körperhaltung und das Verhältnis zu ihr hat Einfluss auf das gesamte psychophsysische Be­finden einer Person. Jede ein­zelne Aktivität betrifft den Men­schen als Ganzes. Entsprechend ist das Selbst die Ganz­heit kognitiver, emotionaler und physischer Vor­gänge und Zu­stände.
Die Art und Weise, wie wir mit uns umgehen, ist Ausdruck der seelischen Ver­fassung und emotionalen Haltung einer Person als Ganzheit. Er bildet Charak­ter­dis­po­sitionen, Selbstkonzepte, Wahrnehmungen und Haltungen ab. Und: Nur in einer bestimmten Haltung sind auch die ent­sprechenden Selbst­konzepte, Wahr­neh­mung, Hal­­­tun­gen und Emotionen möglich und zu Gewohnheiten werden.
Ungünstige Ge­wohnheiten sind Konsequenz viel tiefer ge­hen­der ungünstiger Pro­zesse, welche die ganze Person mit einbeziehen. Gefühls­zustände wie Angst, De­pression haben ihre Entsprechung in der Art und Weise des Zusam­men­­spiels mit bestimmten Konfigura­ti­onen der Muskulatur. Diese entstehen durch emotio­nale Reak­tionen und durch den Einsatz unseres Körpers in sich wie­derholenden Arbeitssituationen.
Der Zusammenhang zwischen emotionaler, mentaler und muskulärer Ebene wurde in meiner Arbeit als Lehrerin für Alexandertechnik immer wichtiger. Ich versuche, meine Schüler:innen   durch Anwendung der Prinzipien der Alexan­­­dertechnik darin zu unterstützen, ihre Gefühle, Glau­bens­­systeme, ihre Persön­lich­keits­­struktur mit ihren indivi­duellen Span­nungs­­mustern in Zusammen­hang zu bringen und auf allen Ebenen zu betrachten.  Der Zugang zum eigenen Selbst und Selbst-Bewusst­heit sind m. E. die Voraussetzung für das Erkennen und Wahr­nehmen von Verän­derungsrichtungen und Alternativen. Dieses Potenzial wird sichtbar, wenn wir die Bedeutung von Spannungsmustern im Prozess des Loslassens erkennen.

       Psyche – Atem und Lebenskraft

Psyche [gr. psychein hauchen] bedeutet urspr. Hauch, dann Atem. Der Atem als Kennzeichen des Lebens führte zur Gleichsetzung der Psyche mit dem Leben, der Lebens­kraft und Le­­bens­energie, zuletzt mit der Seele als dem Lebensprinzip. Atmen heißt fühlen und eine ein­geschränkte Atmung, ein verengter Brustkorb und    eine einge­schränkte Tätigkeit des Zwerch­fells verhindern bestimmte Empfindungen des Körpers und Gefühlszustände. Wenn wir flach atmen, verringern wir die Menge an aufgenommener Luft und gleichzeitig das Vo­lu­men unserer Lungen, unseres Brust- und Bauch­­­raums. Eine flache und hastige Atmung führt zu Gefühlen der Angst, Nervosität und Unbehagen im Organismus.
Alexander ging davon aus, dass eine ausgeglichene Muskelspannung im Organismus die Voraussetzung für eine optimale Koordination und den natürlichen Fluss der Atmung ist.
Das Zusammenspiel von Muskeln, Organen, Rippen und der feinen Mecha­nis­men, die am Atemvorgang beteiligt sind, macht deutlich, dass die Voraussetzung für eine frei fließende At­mung ein entspannter, gesunder Körper bzw. ein gesundes Körper­bewusstsein ist. Wird die Atmung nicht blockiert, gelangen die in den Eingeweiden, im Bauchraum entstehenden   Empfindungen/Gefühle in die Brustregion und können „auf dem Weg dorthin“ be­wusst wahr­genommen, diffe­renziert und schließlich in Gestik, Mimik, in Handlung um­­gesetzt werden.
Eine Blockierung und Verflachung der Atmung verur­sacht eine Blockierung und Be­schrän­kung der Emotionen und Gefühle, so dass sie in ihrer Bedeutung als „Rat­geber“ und Res­sour­­ce für klare Wahr­neh­mung und angemessenes Handeln nicht zur Ver­fü­gung stehen.
Emotion und Gefühl
Wir nehmen Körperzustände wahr, wenn wir Emotionen fühlen. Gefühle sind notwendig zur Wahrneh­mung des durch Emotionen veränderten Körpers. (William James)

Emotion (emovere: herausbewegen) bezeichnet (von Geburt an) das Erleben und den Aus­druck von Freude, Angst, Trauer, Neugier und Ärger, später auch Schuld, Scham, Neid usw. Jede Erfahrung ist mit Emotionen verbunden, jede Emotion hat eine be­stimmte Erlebnisqualität und besitzt eine Motivation für ein bestimmtes Verhalten.
Die Evolution hat zuerst die Emotionen, dann – mit der Entwicklung der jüngeren Hirnstruk­turen die Gefühle hervorgebracht. Emotionen sind Motor für automatische Reak­tionen auf Reize, die auf unbewusste Art das Überleben des Organismus sicher(te)n und die sich des­halb durchgesetzt haben. Emotionen sind vorübergehende Verän­derungen im Orga­nis­mus, werden sie von uns be­wusst wahrgenommen, so spricht man von Gefühl. Als Gefühl be­zeich­net Damasio die Re­prä­­sentation der vorüber­gehenden Veränderungen im Orga­nismus in Form neuronaler Mus­ter und den damit verbun­denen Vorstellungen.2

Ausblick – Mittel der Veränderung
„Der Prozess des Fühlens hat Orientierungsfunktion und macht den Organismus aufmerksam auf ein Problem, mit dessen Lösung die Emotion begonnen hat.3

Im Mittelpunkt meines Unterrichts steht die Vermittlung der Prinzipien der Alexandertechnik mit dem Ziel, dass die Schüler:innen sich durch das Loslassen übermäßiger Muskelspannung zur    Re­akti­vierung der Aufrichtungsreflexe ihren Kör­per wieder aneignen und sich (langfristig) wieder auf ihre Emotionen, ihr Füh­len und Denken als Wah­r­nehmungs und Orientie­rungs­funk­tionen ver­­las­sen können. Das Erlernen der Alexan­der­­technik kann zum Erleben des Zu­sammenhangs zwischen Kör­per, Geist und Emotion füh­ren. Das Wissen um diesen Zusam­men­hang und ihr Zusam­men­wirken wird mit der An­wen­dung der Methode zur kinästhe­ti­schen Erfahrung.
Die Aufmerksamkeit bei der Vermittlung der Alexandertechnik liegt auf den ungünstigen Pro­zesse, die Ursache für Beschwerden sind und die einer Veränderung im Weg stehen. Die Methode und ihre Wirkung zeigen, dass wir alles, was wir für eine gewünschte Veränderung brau­chen, in uns haben: die Probleme und auch die Mittel für eine Lösung.
Das Loslassen von Muskelspannung führt langfristig zum Loslassen von Vorstellungen über sich selbst, das eigene Denken und Fühlen. Dazu gehört eine ehrliche Selbstbeobachtung, um die Anteile, Emotionen und Gedanken zu akzep­tieren und zu integrieren, die vorher ein „Schattendasein“ geführt haben. Jeder dieser Aspekte findet seinen Ausdruck im Körperschema, im Muskeltonus, in der Haltung… .
Die Alexandertechnik schätze ich sehr aufgrund ihres besonderen Spektrums in der An­wen­dung. Sie wirkt als Prophylaxe, bei der Lin­derung oder Hei­lung körperlicher Be­schwerden, als Wellnessprogramm bis hin zur Persönlichkeitsentwicklung und Selbst­erfah­rung durch die permanente „Wiederholung“ ihrer Prinzipien. Ihre Besonderheit liegt für mich darin, dass die Menschen lernen, sie selbst anzuwenden. Das Potenzial der Alexandertechnik ist so groß, wie ihre Anwendung durch den individuellen Menschen.

1 Alexander, F. M. (2001): Der Gebrauch des Selbst. Freiburg 2001, S. 11. (Erstausgabe: The Use oft the Self, 1932). Künft. Zit.: Alexander 2001.

2 Vgl. Damasio, A.R. (2005): Der Spinoza Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. Berlin, S. 102-107.

3 Müller, L, Müller, A. (Hrsg.): Wörterbuch der analytischen Psychologie. Düsseldorf und Zürich 2003, S. 100.

© 2024 Angelika Wichert

https://wichert-alexandertechnik.de/wp-content/uploads/2024/01/emotion_alexandertechnik_wichert_-1.pdf